Camargue

Salin-de-Giraud

Das Örtchen Salin-de-Giraud liegt an der Mündung der großen Rhone in der Camargue und hat seinen Namen aufgrund der Salzgewinnung.

Es kann auf eine kurze aber dennoch sehr bewegte, anstrengende und spannende Geschichte zurückblicken, die bestimmt auch Vorbild und Vorreiter für so manche Firmen und Gewerkschaften war. Und so klein Salin auch ist, so groß in Sachen Europa und Asyl, Heimat schaffen und Arbeit geben für andere und das lange vor unserer Zeit…

Rund um den Ort Richtung Meer sind Salzfelder, die mit Meerwasser geflutet werden, dann verdunstet durch Sonne und Wind das Wasser und zurück bleiben Salzkristalle, so funktioniert seit Jahrhunderten die Meersalzgewinnung.

Will man nach Salin-de-Giraud gelangen, so muss man knapp 40 km durch die Camargue in eine Sackgasse fahren, oder mit der Fähre „Barcarin“ die Rhône überqueren, die allerdings nur für Einheimische kostenlos ist.

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Aber mal ganz langsam von vorne….

Schon die Zisterzienser ließen sich hier nieder. Im 12. Jhd wurde die Abtei d´Ulmet, in der Nähe des Vaccarès Sees, nordwestlich vom heutigen Ort Salin, als eine Salzabtei gegründet. Sie wurde allerdings Ende des 13. Jhds aus Mangel an Süßwasser und weil sie ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten konnten, wieder verlassen.

Die Entwicklung und der Aufbau des Arbeiterdorfes und seiner Infrastruktur ist eng mit der Salzgewinnung verbunden oder besser ausgedrückt: Die Gründungsväter der beiden Firmen Merle ab 1855 (später Pechiney) und Solvay ab 1892 strukturierten die Stadt so, wie es in ihren Augen am besten für sie und die Arbeiter sei.

Durch das ganze Dorf (2000-3000 Einwohner) führt ein Rundweg, der anhand von Flamingo – Schildern mit Bildern die Lebens- und Arbeitssituation der Menschen beschreibt.

Skulptur für die Arbeiter beider Firmen mit Erklärung

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Entwicklung und Aufbau des Ortes

1855 kaufte der Chemiker Henri Merle aus Lyon zehntausend Hektar Sumpfland und den See de Salin, um diesen in Salzfelder zu verwandeln und damit seine Chemiefabriken am Gard mit Natriumchlorid und anderen Salzen versorgen zu können.

Bilder der beiden aus dem Rundgang in Salin de Giraud. Merci à tous.

Knapp 40 Jahre danach, in Absprache mit dem Nachfolger Merles – Pechiney, ließ sich auch der belgische Chemiker Ernest Solvay hier nieder, und gründete mit seinem Bruder Alfred die heute noch existierende Firma Solvay. Ernest ein Verfahren entwickelt hatte, um aus Salz Natriumcarbonat (Soda) zu gewinnen.

Beide Firmen existieren heute noch:
Die Fabrik Péchiney (benannt nach dem Nachfolger von Merle) ist Teil des Konzerns „Salin du Midi“ und produziert hauptsächlich Salz für die Straßen. 2024 wurden ca 350.000 Tonnen Salz gewonnen.

Salzberge vor der Stadt

Der belgische Konzern Solvay hat heute Firmen in mehr als 40 Ländern mit über 9000 Angestellten und produziert heute unter anderem, immernoch Natriumcarbonat (Soda) das vielfältig genutzt wird und zum Beispiel einen wichtigen Bestandteil eines Covid PCR Tests.

Wer mehr über die Salzgewinnung erfahren möchte, kann hier mal reinschauen: Meersalzgewinnung

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Die Arbeiter

Beide Firmen brauchten Arbeiter….Merle, die Salzarbeiter um Salz zu gewinnen und Solvay benötigte Arbeiter für die Chemiefabriken.

Sie kamen aus aller Herren Länder und waren dankbar, hier Asyl und eine Arbeit gefunden zu haben. Sie machten es zu ihrem neuen Zuhause, wie auf dem Schild des Tourismus d’Arles zu sehen.

Deshalb ist Salin de Giraud ist auch eine Stadt der Einwanderer geworden, im 19. Jhd kamen die ersten Arbeiter aus Italien, dann Griechenland und Armenien.
Nach dem 1. und 2. Weltkrieg fehlten wieder Arbeiter, wie in so vielen anderen Städte auch, um das weiße Gold zu schürfen. Beide Fabriken, Péchiney (von Merle) und Solvay, stellten Arbeiter aus den unterschiedlichsten Ländern ein. Wieder waren es auch Flüchtlinge, die hier Arbeit, Asyl und eine Heimat bekamen, Spanier,  Maghrébins und viele mehr.
Für die Arbeiter beider Fabriken wurde jeweils ein Viertel mit Wohnungen und das soziale Umfeld für ein gutes Leben geschaffen. So gab es schon sehr früh ein Krankenhaus, Post, Kino, eine Sporthalle, heute der Festsaal, Plätze zum Zeit verbringen, Spielen, Lesen, etc.

Außerdem wurde eine Arena für die „Stierkämpfe“ der Camargue errichtet, in der im Sommer noch etliche Wettkämpfe ausgetragen werden.
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Ernest Solvay und seine Ideen

Besonders der Philantrop Ernest Solvay wollte von seinem Reichtum zurückgeben und schuf etliche Annehmlichkeiten für die Arbeiter und deren Familien. Unglaublich aber wahr; während des 2. Weltkrieges profitierten die Famililen von Solvays sozialer Einstellung, denn den Familien wurde der Gehalt weiter bezahlt. Ernest Solvays war seiner Zeit weit voraus, es gab Krankengeld, eine Rentenkasse, bezahlter Urlaub (und zwar doppelt), ab 1907 den 8-Stunden-Tag. Er beließ es nicht nur bei Ideen, sondern setzte auch noch viele andere Dinge um, wie zusätzlichen Unterricht für die Kinder. Oder wenn die Mädchen nicht auf eine weiterführende Schule gingen, so konnten sie vor Ort Unterricht in Hauswirtschaft bekommen.

Die Nachfolger und Direktoren der Fima Solvay waren nicht minder engagiert, so auch Puget, der selbst Hand anlegte, und seiner Frau damit gehörig auf die Nerven ging. Er legte einen kleinen Park an, damit die Menschen sich dort entspannen und treffen könnten. Allerdings verbrachte er so viel Zeit dort, dass seine Frau genevt nörgelte und ein Wortspiel entstand:Er ist in seinem verdammten Wald „sacre bois“ anstelle von ihm – heiligen Wald -„bois sacré“. Welches ihm auch seinen Namen gab.

Interessanterweise lebten die Arbeiter der 2 Fabriken komplett getrennt von einander, die Kinder trafen sich zum Teil nur in der Schule… Noch heute ist zwischen den zwei „Ortsteilen“ nur eine „richtige“ Verbindung, über einen Kreisverkehr, der dort liegt, wo ursprünglich mal der Bahnhof war. Zwischen den Vierteln Péchiney und Solvay ist Brachland (mit Schnakenpotential ohne Ende), der ehemalige Bahnhof. Im Zentrum liegt das Gesundheitszentrum, die Schule, der Kindergarten, Einkaufsläden, Marktplatz, eine Bäckerei….

Die Arbeiterviertel
Für die Firma Solvay entstanden um 1900, Richtung Rhône, die für provencalische Verhältnisse untypischen Häuser. Arbeitersiedlungen aus Backstein, im Stil aus dem Norden. Die meisten der Arbeiter wohnten in Reihenhäusern mit langezogenem Garten, damit man Platz für Toilette, Feuerholz und Gemüseanbau hatte.

Vielleicht habe ich mich ja auch deshalb in das etwas andere Dorf in der Camargue verliebt, weil es mich an meine ersten Schritte allein in Frankreich erinnert, ganz im Norden, Nord 59, wo ich viele mal zu Besuch war und die Franzosen und Frankreich lieben gelernt habe. 

Die Solvay Brüder waren ja Belgier und ließen ihre Stadt im Stil der Bergbaustädte bauen, mit schönen Alleen.

Je näher man an der Fabrik wohnte, desto großzügiger waren die Häuser, mit größeren Gärten und desto besser war die Anstellung. Gegenüber des Verwaltungsgebäudes befindet sich das Anwesen des Direktors, welches auch repräsentativen Zwecken diente und sogar einen englischen Garten hatte.
Mitunter zogen die Familien mehrfach um, wegen des beruflichen Aufstieges des Vaters.

Sie wussten sich zu helfen, die Brüder …

Die Häuser wurden zuerst mit Backsteinen aus dem Norden von Arbeitern aus dem Norden gebaut. Aber als das Material knapp wurde, kauften die Solvays kurzerhand eine Fabrik bei Arles, zur Herstellung von Backsteinen nach ihrem Gusto.
Die Umsetzung des Viertels wurde auf der Weltausstellung in Lüttich 1905 mit der Goldmedaille ausgezeichnet.

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Unterkünfte für die Arbeiter der Fabrik Péchiney waren zwischen den Salinen und dem damaligen Bahnhof.
Hier sieht es völlig anders aus als im anderen Viertel, viele kleine Häuschen und einstöckige Reihenhäuser prägen das Ortsbild. Dies waren wohl ehemalige Kasernen, die nach dem Krieg in Wohnhäuser umgebaut wurden. Außerdem mussten um den Platz Adrien immerzu mehr Häuser gebaut werden, um den vielen Arbeitern, die wie gesagt sehr häufig auch Flüchtlinge vor den Regimes wie Franko in Spanien oder Algerier, die im Krieg Frankreich unterstützt hatten.
Den Bahnhof, gibt es nicht mehr, dafür symbolisch ein rosa Gleis und ihr Zug „Pechiney“ fuhr nur bis 1930. Er brachte sie durch die Salzlandschaft zum Strand und im bezahlten Urlaub ließ er sie von einem weniger anstrengenden Leben träumen. (Zu sehen auf dem Arbeiterbild , weiter oben)

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Die Bahn nach Arles und der Bahnhof

Die „Salz-Bahn“ verkehrte bis 1958 zwischen Salin und Arles. Sie war es auch, die meisten Einwohner überhaupt  erst nach Salin brachte.
Bis nach dem Krieg war sie elementar, denn die kostbare Fracht, das Salz, musste ja ins Landesinnere gebracht werden und nicht nur Arbeiter kamen damit nach Salin. Die Einwohner fuhren damit nach Arles zur Arbeit, Schule oder zum Vergnügen. Nach dem Krieg wurde das Automobil zur großen Konkurenz. 1957 verkehrte nur noch der Güterverkehr über die Bahn, bis 1 Jahr später auch der beendet wurde, denn Solvay begann über eine Fähre seine Produkte direkt zum Bahnhof nach Port St. Louis zu verschiffen.

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Der Krieg und die Kirchen

Hier in Salin gibt es auch noch Überreste aus nicht so tollen Tagen, quasi ein zerfallendes Mahnmal gegen den Krieg. (Wie auch in den Salinen noch etliche Bunker Ruinen existieren.) Es ist ein ganz schwarzes Kapitel in der Geschichte Salins, jedoch mit gutem Ende.

Einst, vor dem 1.Weltkrieg war das eine Fabrik für Giftgas, Schießpulver und Munition (deren Grundstoffe das Salz war), die nach Krieg still gelegt wurde. Frankreich setzte  damals auf Verteidigung, sie wollten keinen Krieg mehr, besonders auf die Maginotlinie und nicht auf Angriff, weshalb u.a. solche Standort inaktiv waren.

Im 2.Weltkrieg hatte man sie kurzfristig wieder reaktiviert, wurde dann aber von der Résistance übernommen, endgültig still gelegt und unschädlich gemacht…

Der große Hauptteil der Fabrik wurde abgerissen, heute stehen noch die Nebengebäude, einst Warenlager und Stallungen….

Der Reste verfallen und werden so zum verschwindenden Mahnmal.

Ein Bau sticht allerdings heraus….pikobello ….

herrlich in weiß und blau gestrichen und sorgfältig gepflegt….

Eines dieser Gebäude wurde von den griechischen Einwanderern Anfang der 50ern übernommen und zur einer griechisch orthodoxen Kirche umgestaltet wurde, heute Zeugnis der multi-kulti Ursprünge von Salin.

Ich habe mit einem idealistischen Mann gesprochen, der mir über die Ruinen erzählte und jetzt unterschiedliche Bäume pflanzte, damit sie irgendwann mal Schatten spenden, für einen schönen Platz um die Kirche herum. Er muss sein Lebenswerk allerdings jeden Tag gießen, weil hier alles sonst vertrocknet.

eine tolle Initiative und ein gutes positives Ende, find ich… In ein paar Jahren werden die Bäume die Ruinen endgültig verschwinden lassen und den Menschen hier schöne Plätze bieten.

Ganz im Sinne Ernest Solvays und Pugets.

Schön…

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Katholische Kirche und Kapelle

Für alle katholisch Gläubigen wurde 1865 an der Rhône eine große beeindruckende Kirche errichtet.

Zu ihr konnten alle Gläubige aus der Umgebung kommen.

Allerdings war sie einfach zu weit vom Zentrum entfernt, sodass 1935 eine neue Kapelle mitten im Ort errichtet wurden.

Einst war Europas größter sozialer Campingplatz südlich von Salin am Strand von Piemanson ein Teil des OrtesFreud und Leid, Geld und Müll, alles kam mit den Menschen, die am Strand, 11km vom Ort entfernt, Urlaub machten oder ihren Alterssommer erlebten.


Heute leben ein paar Einheimische noch vom Tourismus, aber der große Hype ist vorbei. Das stillgelegte öffentliche Duschhaus, steht noch direkt neben dem Wohnmobilstellplatz.
Der sozialistische Charme hat auch was…

Uns gefällt es hier, in der Camargue, in Salin de Giraud und am Plage de Piemanson. Wir mögen Land und Leute und sagen danke, für die vielen Informationen zur Geschichte und der Gemeinde für den Platz zum Übernachten…

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Es gäbe natürlich noch viel mehr zu erzählen….

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